ESA/NASA Raumsonde entdeckt Quelle
des schnellen "Windes" auf der Sonne

(Übersetzung der gemeinsamen Pressemitteilung
von NASA, ESA und Max-Planck-Institut für Aeronomie)

Eine internationale Wissenschaftler-Gruppe hat Gebiete auf der Sonne identifiziert, in denen der schnelle Sonnenwind entspringt. Mit Hilfe des Spektrometers SUMER auf der Raumsonde SOHO untersuchten die Wissenschaftler Ströme des Sonnenwindes, die von den Kanten wabenförmiger Muster von magnetischen Feldern an der Oberfläche der Sonne ausgehen. (SUMER bedeutet "Solar Ultraviolet Measurements of Emitted Radiation", d.h. Messungen von der Sonne ausgehender ultravioletter Strahlung; SOHO ist das Weltraum-Observatorium der ESA und NASA für die Sonne und Heliosphäre, "Solar and Heliospheric Observatory".) Die Beobachtungen werden in der Ausgabe der Zeitschrift SCIENCE vom 5. Februar vorgestellt. Diese Forschungen werden zu einem besseren Verständnis des schnellen Sonnenwindes führen, der ein Strom von elektrisch geladenen Gasen ist und den Weltraum auch in der Nachbarschaft der Erde beeinflusst.

"Die Suche nach der Quelle des Sonnenwindes verlief wie die Suche nach der Quelle des Nils," sagte Dr. Don Hassler vom Southwest Research Institute in Boulder (Colorado) und erster Autor der SCIENCE-Veröffentlichung. "Seit 30 Jahren beobachten Wissenschaftler den schnellen Sonnenwind, der aus Gebieten der Sonnenatmosphäre mit offenen magnetischen Feldlinien kommt, den sogenannten Korona-Löchern. Erst kürzlich jedoch, mit den Beobachtungen von SOHO, waren wir in der Lage, die detaillierte Struktur dieses Quellgebietes innerhalb der Korona-Löcher zu vermessen."

Das Spektrometer SUMER auf SOHO entdeckte die Quelle des schnellen Sonnenwindes durch Beobachtung des ultravioletten Spektrums über ein größeres Gebiet am Nordpol der Sonne. Das Instrument SUMER wurde unter der Leitung von Dr. Klaus Wilhelm am Max-Planck-Institut für Aeronomie in Lindau (Deutschland) gebaut, mit Hilfe wichtiger Beiträge vom Institut d'Astrophysique Spatiale in Orsay (Frankreich), vom Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt (Maryland) und der Universität von California in Berkeley, sowie mit der finanziellen Unterstützung staatlicher Stellen aus Deutschland, Frankreich, den USA und der Schweiz. "Die Detailstruktur der Quellregion des schnellen Sonnenwindes zu identifizieren ist ein wichtiger Schritt, um das Problem der Beschleunigung des Sonnenwindes zu lösen. Wir können unsere Aufmerksamkeit jetzt auf die Plasma-Bedingungen und die dynamischen Prozesse lenken, die an den Rändern der magnetischen Feldstrukturen vorherrschen," sagte Dr. Klaus Wilhelm, auch Co-Autor der SCIENCE-Veröffentlichung.

Ein Spektrum entsteht durch die Aufspaltung des Lichts in seine Teilfarben, die mit verschiedenen Wellenlängen korrespondieren. Blaues Licht hat eine kürzere Wellenlänge und ist energiereicher als rotes Licht. Ein Spektrum im sichtbaren Licht kann man sehen, wenn ein Prisma weißes Licht in die verschiedenen Farben des Regenbogens zerlegt. Indem Astronomen das Licht auf diese Weise untersuchen, erfahren sie vieles über den Gegenstand, der das Licht aussendet, wie etwa seine Temperatur, seine chemische Zusammensetzung und seine Bewegung. Das ultraviolette Licht, das von SUMER zur Untersuchung der heißen Sonnenatmosphäre verwendet wird, ist für das menschliche Auge unsichtbar und kann auch die Erdatmosphäre nicht durchdringen.

Der Sonnenwind ist ein Strom elektrisch geladener Gase, der von der Oberfläche der Sonne abfließt. Er kommt in zwei Varianten vor: "schnell" und "langsam". Der langsame Sonnenwind bewegt sich in der Nähe der Erde mit "nur" 1.5 Millionen Kilometer pro Stunde (km/h, etwa 400 km/s), während sich der schnelle Sonnenwind mit höheren Geschwindigkeiten, etwa 3 Millionen km/h (800 km/s) bewegt. Das heiße Gas in der Quellregion des Sonnenwindes strahlt Licht in bestimmten ultravioletten Wellenlängen aus. Wenn das Gas in Richtung Erde fließt, wie es dies im Sonnenwind tut, werden die Wellenlängen des ausgestrahlten ultravioletten Lichts kürzer - ein Phänomen, das Dopplereffekt genannt wird. Es ist vergleichbar mit der Art und Weise, in der ein Martinshorn seine Tonhöhe zu ändern scheint, wenn es vorbeirast. Wenn sich die Sirene auf uns zu bewegt, wird ihr Klang zu einer kürzeren Wellenlänge zusammengepresst, was zu einem höheren Ton führt. Wenn sie sich wegbewegt, wird ihr Klang zu einer längeren Wellenlänge auseinandergezogen, was zu einem niedrigeren Ton führt. Bewegung auf uns zu, weg von der Sonnenoberfläche, wurde als Blauverschiebung im Spektrum entdeckt und als Beginn des Sonnenwindes identifiziert.

Die Beschaffenheit und die Herkunft des Sonnenwindes ist eines der hauptsächlichen Rätsel der Sonnenphysik, für deren Lösung SOHO geplant war. Schon seit langem hat man angenommen, daß der schnelle Sonnenwind aus den Korona-Löchern fließt; neu ist die Entdeckung, daß diese Ausflüsse in bestimmten Gebieten an den Kanten der wabenförmigen magnetischen Felder konzentriert sind. Dicht unterhalb der Sonnenoberfläche gibt es große Konvektionszellen, und jede Zelle ist mit einem magnetischen Feld verbunden. "Wenn man sich diese Zellen als die Steinplatten einer Terrasse vorstellt, dann wächst der Sonnenwind an den Kanten heraus wie Gras - konzentriert an den Ecken, wo sich die Steinplatten treffen," sagte Dr. Helen Mason von der Universität Cambridge (England), Co-Autorin der SCIENCE-Veröffentlichung. "Bei Geschwindigkeiten von etwa 8 km/s an der Oberfläche bis hinauf zu mehr als 800 km/s 'wächst' der Sonnenwind allerdings erheblich schneller als Gras." - "Es ist ein wichtiger Schritt, genau an den Punkt zu sehen, wo der Sonnenwind tatsächlich auftaucht," sagt Co-Autor Dr. Philippe Lemaire vom Institut d'Astrophysique Spatiale in Orsay (Frankreich).

Wenn der schnelle oder der langsame Sonnenwind an der Erde vorbeifließt, verändern sie die Form und Struktur des irdischen Magnetfeldes. In der Vergangenheit hat der Sonnenwind uns nicht direkt beeinflusst, aber jetzt, wo wir zunehmend von Hochtechnologie abhängig sind, werden wir auf seine Effekte aufmerksam. Die Forschung hat festgestellt, daß Änderungen im Fluß des Sonnenwindes dramatische Änderungen in der Form des irdischen Magnetfeldes bewirken können, die wiederum Satelliten zerstören und Kommunikations- oder Energiesysteme unterbrechen können.

SOHO arbeitet an einem besonders günstigen Punkt im Weltraum, etwa 1.5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt, in Richtung Sonne. SOHO ist ein Projekt internationaler Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Raumfahrtagentur ESA (European Space Agency) und der amerikanischen Luft- und Raumfahrtbehörde NASA (National Aeronautics and Space Administration). SOHO wurde von einer Atlas II-AS Rakete auf dem Kennedy Space Center der NASA im Dezember 1995 gestartet und wird vom Goddard Space Flight Center aus betrieben.


Anlage: Bild zur Pressemitteilung

5. Februar 1999

Kontakt: Klaus Wilhelm
Max-Planck-Institut für Aeronomie
37191 Katlenburg-Lindau
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Fax: 05556 979-240